Mediendidaktik im Hochschulseminar: Ansätze von Mooc und Barcamp

Donnerstag, Oktober 17, 2013

Didaktik heisst auch immer einen Kompromiss mit den Gegebenheiten machen.
„Aus verschiedenen Gründen ist in diesem Semester ein extremer Engpass in der Lehrversorgung des Fachbereichs aufgetreten“, so zititiert die Frankfurter Rundschau den Studiendekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften. Die Aufforderung an die Lehrenden ist eindeutig: Öffnet die Tore und nehmt mehr Studierende in die Seminare auf.
Diese Ansage sowie der Umstand, dass aktuell zwei Prüfungsordnungen existieren, haben mich die didaktischen Karten für mein Seminar “Elektronisches Lernen im Internet” neu mischen lassen.

Geht es auch ohne Hausarbeit?

Die bisherigen Arrangements habe ich hier und hier skizziert. Die Studierenden haben bisher als Leistung eine Hausarbeit oder Referat mitsamt schriftlicher Ausarbeitung eingereicht. Die Abwicklung der Abgabe läuft seit letzten Semester über die Lernplattform Olat und erspart mir so Papierberge und das Zusammensuchen der PDFs in meiner Mailbox.
Ich persönlich war nie ganz glücklich mit diesen klassischen Leistungsformaten. Meine Erfahrung zeigt, dass diese Arbeiten oft erst mit 3-5 Monaten Abstand zu den Inhalten unter Hochdruck in den letzten Tagen der Abgabefrist entstehen. Viel von dem Momentum, welches in den Seminaren in den Diskussionen entsteht, verpufft ungenutzt. Zudem sind klassischen Formate auch in der Regel Einzelkämpfertum und nur selten Kollaborationen.

Diese Gemengelange führt mich nun zu dem Mut, einen ganz anderen Ansatz auszuprobieren. Für die aktive Teilnahme (AT) bleibt es beim Etablierten: Keine Anwesenheitsliste, Medienprodukt! Die Studierenden werden gemeinsam in WordPress eingeführt und gestalten über das Semester einen eigenen, thematisch völlig freien Blog mit min. 5 Beiträgen und 5 Kommentaren auf den Blog der Kommilitonen.

Die zentrale Änderungen gibt es bei den Leistungsnachweisen Hausarbeit & Ausarbeitung. Diese streiche ich und biete stattdessen an, einen gemeinsamen Seminarblog auf der internen Lernplattform zu führen. Die Anforderung an die Teilnehmer ist, dass jeder im Verlauf des Semesters fünf Beiträge im gemeinsamen, thematischen Blog auf Olat verfasst.


Als ich diese Vision in der ersten Sitzung vorgestellt habe, gab es großes Interesse seitens der Anwesenden. Allerdings gab es direkt einige irritierte Nachfragen: “Wie lange sollen die einzelnen Beiträge sein, eine Seite?” Die Fixiertheit auf Formate und die Unsicherheit über die Bewertungsmaßstäbe waren sofort greifbar. Diese Unsicherheit konnte ich nicht gänzlich nehmen, dafür ausführen, warum sie überhaupt exisitiert.

Warum ein Seminarblog?

Das Nutzen eines internen Reflexionsblogs eröffnet mindestens eine große Chance: Die Abkehr von der reinen Textfixiertheit! Die Modulbeschreibung (S.19) “Neue Medien” ist eindeutig:  Es geht nicht nur um das Reflektieren von Medien, sondern auch um das Gestalten. Daher ermuntere ich alle Studierende, ihre Beiträge nicht nur in Textform zu gestalten: Mindmaps, Infografiken, Screencasts, Videos, Skypeinterviews, Podcats usw. sind alles Formate, die Teil des Seminarblogs werden können und eine Alternative in der Wissensdarstellung sind. Und dann fällt es natürlich schwer, die verschiedenen Formate quantitativ miteinander zu vergleichen.
Ich verstehe und achte natürlich das Orientierungsbedürfnis der Studierenden, hoffe aber auf den Punkt gebracht: Das Wegfallen der quantitaiven Mindestanforderungen öffnet Raum, Mut und eigene Begeisterung zum Experimentieren mit neuen Medienformaten.
Wichtig war mir dabei zu betonen, dass wir dabei vielmehr den Prozess betrachten und weniger auf einzelnen Ergebnisse fixiert sind.
Nach einer lebhaften Diskussion waren die Teilnehmer soweit bereit für das Experiment, bis einer Teilnehmerin der große Clou auffiel: “Wenn alle Leistungen nun im Seminarblog stattfinden, dann gibt es ja keine Referate mehr. Worüber schreiben wir denn dann, wer gestaltet die Sitzungen?” – Sehr gut mitgedacht!

Das war für mich die perfekte Überleitung, um auf die Teilnahmevorausetzungen einzugehen. Wenig überraschend hatte diese kaum einer gelesen, doch eine Dame wusste es: Ein Laptop und Selbstlernmotivation.
Meine Hoffnung ist: Wenn wir uns verabschieden von der Vorstellung, einen umfassend konzipierten 90 Minuten Input serviert bekommen zu müssen und stattdessen eher an Impulse der freiwilligen Referenten denken und das Referieren als angstfreie Übung von Schlüsselkompetenzen begreifen, dann könnte es Teilnehmer geben, die ohne Zwang ein Thema für die Gruppe einführen und gemeinsam im Plenum innerhalb des Seminars entwickeln. Selbstlernmotivation ist dabei der Schlüssel: Was interessiert Euch, welche Themen wollen wir im Seminar besprechen, welche Themen tangieren Euch beruflich oder privat?

Die meisten Anwesenden waren sicher, dass dieses Modell funktionieren kann und wird. Angeregt dabei wurde, die Themenvergabe nicht direkt für das gesamte Semester zu machen, sondern fortlaufend mit circa 3-4 Wochen Vorlauf. So sei es, das probieren wir genau so. Das heisst, in der kommenden Woche will ich mit dem Seminar erarbeiten, welche Darstellungsformen möglich sind und mit welchen Tools diese umgesetzt werden können, um dann erst in der folgenden Woche das erste Mal ein paar Themen zu vergeben.

Was hat das mit Moocs & Barcamps zu tun?

Neben Tools zur Wissensdarstellung möchte ich in der kommende Woche auch über zwei Prinzipien reden, die ich nicht nur aus SEO-Gründen ;) in die Artikelüberschrift gepackt habe: Moocs & Barcamps.

Denn auch wenn das Seminar sicherlich weit von einem Mooc und einem Barcamp entfernt ist, sehe ich durchaus erste Ansätze, die ich zum Abschluß gerne kurz skizziere.

Mooc: Das Seminar ist weder “Massive” (90 Teilnehmer) noch “Open”. Zudem basiert es auf Präsenzveranstaltungen und wird “nur” online weitergeführt. Dennoch sehe ich Ansätze, zu einem dass die Teilnehmenden ihre Interessen und Themen und Darstellungsformate selbst picken und nicht über alles schreiben müssen. Zum anderen die Bezugnahme der Teilnehmer untereinander, das gegenseitige Lesen, Kommentieren und Inspirieren.

Barcamp: Klar, das Seminar ist nicht ganz freiwillig und die einzelnen Sessions laufen sequentiell und nicht parallel. Ich hoffe, dass sich in den Seminarsitzung eine Offenheit in der Gestaltung etabliert wie sie auf Barcamps existiert. Also konkret die Entbindung von der Last einen durchgeplanten Vortrag präsentieren zu müssen und die Freiheit, auch einfach eine Frage zur Recherche und Diskussion stellen zu können. Ebenso sehe die Eigenverantwortung der Teilnehmer beim Dokumentieren (z.B. auf Etherpads) als Parallele zu Barcamps.

Ich bin sehr gespannt, wie sich dieses Seminar entwickelt und ob aus Teilnehmern auch Teilgeber werden können.
Wer nutzt ähnliche Settings, welche Tipps gibt es? Freue mich über Anregungen und bedanke mich für das Lesen!

6 Comments

  1. Ralf Appelt sagt:

    Hallo Gregory,

    in jedem Fall eine schöne Idee! Ich hoffe, dass sich die Verbindlichkeit der Seminarleistungen (5 Blogposts/Person) nicht erst zum Ende des Semesters ballt! Bei 90 TN á 5 Blogposts macht es bei angenommenen 14 Veranstaltungen etwas mehr als 32 Blogposts/Woche! Da am Ball zu bleiben dürfte für Dich und die Studierenden eine Herausforderung werden!
    Welche Rolle wirst Du im Seminar spielen? Wie möchtest Du den Studierenden Rückmeldung geben, Literatur empfehlen und ggf. technischen Support leisten?
    Wie gewährleistest Du ein (retrospektiv feststellbares?) “universitäres” Niveau und was bedeutet das für Dich? Ich bin bei Veränderungen der Anforderungen immer unsicher diesbezüglich.

    Ich bin gespannt wie es weiter geht…

    Grüße Ralf

    1. Gregory Grund sagt:

      Hallo Ralf,

      ganz herlichen Dank für Dein Interesse und die sehr guten Fragen, das hilft mir weiter!

      90 TN sind offiziell im Seminar, neben dem natürlichen Schwund brauchen auch nur manche die “Aktive Teilnahme”. Die passiert über die WordPress-Blogs, die thematisch frei sind. Die seminarbezogene Reflexionsbeiträge für die Leistungspunkte finden auf der internen Plattform statt. Ich kann aktuell nich nicht einschätzen, wie viele eine Leistung erwerben wollen und wie viele nur die AT wollen, tippe mal ungefähr 40-50 Leistungspunktinteressenten. Ich denke und hoffe, dass diese Reflexionsbeiträge während des Semesters entstehen und nicht unter Zeitdruck am Ende.
      Daruf versuche ich auch hinzumoderieren, also frühzeitig das Werkzeug Olatblog an die Hand geben und vor allem Inspiration lieferen, wie Reflexionsbeiträge gestaltet werden können. Klar, Text wird dominieren, gestern in der zweiten Sitzung haben wir uns auch Mindmaps, Infografiken, Sketchnotes (Deine Zeichnung zur Etherpadsession sowie Deine Tipps waren Teil des Seminars und kamen gut an!), Screencasts, Onlinepräsentationen, Videoformate usw. angeschaut.

      Meine Rolle in Präsenz und auch Online sehe ich als katalysierenden Moderator. D.h. ich werde Blogbeitrage lesen und mit eigenen Posts bündeln und mit Anregungen wie Literaturtipps ergänzen, so wie es z.B. im cMooc #Opco12 vom Team gemacht wurde.
      Das ist ein Teil der Rückmeldungen, weitere kann es hoffentlich auch über direkte Kommentare zu einzelnen Posts in Olat geben (nicht nur von mir, von allen) und dann natürlich auch am Ende des Semesters, wenn die leistungspunktinteressierten Studierenden ihre aggregierten Beiträge als PDF einreichen.
      In den Sitzungen selbst muss ich meine Rolle finden, auch dort werde ich natürlich gerne Anregungen, Diskussionsfragen und grundlegendes wissenschaftliches Material wie Studien etc an den passenden Themensträngen einbringen.

      Deine schwerste Frage ist sicher die nach dem “universitären Niveau”. Primär geht es mir darum: Interesse, Neugierde, Lebensweltbezug, Motivation, Forschergeist – nenn es wie Du möchtest :) – zu wecken und zu fördern. Erst darauf ist Erkenntnisgewinn auf “universitärem Niveau” möglich. Auch wenn Sessions mit Praxisherausforderungen beginnen, sehe ich kein Problem, dann den Weg hin zu fundierten Quellen, Studien und Theorien zu schlagen. Ich persönlich finde es ganz fatal, wenn “universitäres Niveau” das Ignorieren von Praxis ist. Und ob ich jetzt aus der Theorie in die Praxis denke oder aus der Praxis und dann Unterfütterung in der Theorie suche, ist für mich persönlich zweitrangig.
      Feststellen lassen könnte sich das über eine Evaluation des Seminars und auch vielleicht bei den verwendeten Quellen in den Reflexionsbeiträgen, wie gesagt, eine sehr gute Frage.
      Was ist denn für Dich “universitäres Niveau”? Ich tue mich mit dem Begriff schwer…

      Auch ich bin sehr gespannt auf den Fortgang, die zweite Sitzung gestern hat mir Mut gemacht, die Formate Moocs und Barcamps haben durchaus Interesse und Aha-Effekte gefördert und die ersten beiden Sitzungen zu “Blogs und didaktische Potentiale” sowie “Einführung in WordPress” wurde jeweils von freiwillgen Referentengruppen übernommen. Mal schauen, was passiert, wenn künftig weitere Sessionsvorschläge gesammelt werden :)

      Große Grüße, Gregory

  2. Udo Mildenberger sagt:

    Hallo Herr Grund,
    veröffentlichen Sie Ihre Erfahrungen auch hier im Blog? Ich bin heute bereits wahnsinnig neugierig, was dabei herauskommt bzw. welche positiven und negativen Erfahrungen Ihre Studierenden einerseits und Sie selbst andererseits gemacht haben bzw. immer noch machen.

    Viele Grüße
    Udo Mildenberger

    1. Gregory Grund sagt:

      Hallo Herr Mildenberger,
      vielen Dank für Ihr Interesse!
      Ja, ich plane am Ende des Semesters eine Reflexion hier zu veröffentlichen.
      Als “Wasserstandsmeldung”: Für die 4 kommenden Sitzungen haben wir bereits Referenten / Impulsgeber gewinnen können. Auch wurden schon von den Teilnehmern einige Themenvorschläge und -Wünsche eingebracht. Die Teilnehmer haben sich dafür ausgesprochen, den Sitzungsplan nicht fürs ganz Semester im voraus zu definieren. Ich erinnere also in jeder Woche an die Möglichkeit, freie Sitzungen zu übernehmen und bin optimistisch, dass die Motivation hoch bleibt.

      Auch auf dem gemeinsamen Olatblog sind die ersten Beiträge erschienen, diese nicht nur in Textform. Die Unsicherheit in Bezug auf meine Erwartungen als derjenige, der am Ende benotet, ist noch bei manchen spürbar. Hier muss ich noch besser einwirken, Ängste nehmen und einen klareren Erwartungshorizont kommunizieren.

      Ich bin selbst gespannt und freue mich auf einen weiteren Austausch mit Ihnen,
      Große Grüße,
      Gregory Grund

  3. Udo Mildenberger sagt:

    Hallo Herr Grund,
    an der Kommunikationsaufgabe in Bezug auf die Bewertung scheitere ich seit mehreren Semestern. Die Studierenden sind zwar zwischenzeitlich an die bewerteten Lerntagebücher in den Veranstaltungen gewohnt, sie kritisieren jedoch Semester um Semester die zwangsläufige Subjektivität der Bewertung. Selbst ausführliche Beschreibungen der Bewertungskriterien haben bisher keine Abhilfe an dieser Kritik geschafft.

    Udo Mildenberger

    1. Gregory Grund sagt:

      Hallo Herr Mildenberger,
      besten Dank für den Hinweis!
      Bewertungen sind in den Geisteswissenschaften immer auch subjektiv, was den Umgang damit aber natürlich nicht einfacher macht.
      Ein Peer-Review-Verfahren wäre denkbar, hat aber natürlich auch Haken wie den höheren Aufwand für die Studierenden und eine mögliche “Befangenheit”. Dennoch sehe ich in dem Gedanken Potential, mal schauen wie wir das integrieren können.
      Ich nehme die Anregung auf, für die kommenden Sitzungen Erwartungen bzw. eher positive Beispiele an die Hand zu geben, also im Sinne von: Die Wahrscheinlichkeit auf eine gute Note erhöht sich deutlich, wenn Sie in Ihren Reflexionen….

      Es rattert, Danke für die Anregung!
      Große Grüße,
      Gregory Grund

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